In dem 2013 auf Deutsch erschienenen Roman Dreizimmerwohnung aus Plastik von Petra Hůlová findet eine junge Prostituierte eine Sprache für manche liberalen Tabus unserer Zeit. Natürlich geht es um Sex. Doch die Radikalität der Inhalte, die Macht der Bilder und das einzigartige Spiel mit der Sprache lassen die Protagonistin als wahre künstlerische Schöpferin ans Licht treten. Und das ganz ohne Hemmungen.
Petra Hůlová wurde 1976 in Prag geboren. Sie ist bekannt als eine der wichtigsten tschechischen AutorInnen der neuesten Generation. Ihr internationaler Ruhm ist nicht nur dem originellen Stil und dem einzigartigen Umgang mit Sprache geschuldet, was auch in der Übersetzung von Doris Kouba nicht verloren geht. Im Kontext der jüngsten osteuropäischen Literatur ist Hůlová eine ambitionierte Literatin, die ihre Themenbereiche nicht unbedingt auf die regionale Kultur und das lokale Geschehen begrenzt und sich ebenso wenig darauf begrenzen lässt: Möge die Erwartung der LeserInnen nach Schmuckstücken aus tschechischer Folklore oder Kultur nicht erfüllt werden.
Die Protagonistin des Romans befindet sich in einer Dreizimmerwohnung in Prag und spricht dabei über Zustände, die auch anderswo vorstellbar sind. Im Laufe ihres Monologs wird dieser Ort kaum als ein kuscheliges Liebesnest gezeichnet, viel eher ist es ein Ventilraum für den gesamten gesellschaftlich verdrängten Gestank: Dunkle Phantasien, Gewalt, Unsicherheiten. Es geht dabei nicht um eine lineare Erzählung mit strenger Handlung und großer Pointe, sondern um die Gedankenwelt einer Frau, die beruflich fickt, das heißt, sich ficken lässt. Sie wird nicht als bekehrende Moralistin oder heilende Psychologin charakterisiert, obwohl in der medizinisch sauberen Dreizimmerwohnung auch geweint und geredet wird. Sie füllt eine Lücke, wodurch manch Menschliches oder Unmenschliches erst sichtbar wird, paradoxerweise auch die Tiefe der Einsamkeit in der kapitalistisch getriebenen Großstadt.
Die expliziten Schilderungen sexueller Details liest man mit einer gewissen Abscheu. Dabei ist die Sprache einerseits äußerst vulgär, andererseits aber durch die Fülle an Wortneuschöpfungen und Wortspielen ebenso poetisch. Hůlová geht es nicht alleine um die Spannung zwischen der „Reinsteckselbesitzerin“ und dem „Reibeiseneigentümer“ oder um die Erfüllung bestimmer Männerphantasien. Die Prostituierte macht sich scharfe Gedanken über die Dynamiken zwischen den Geschlechtern in der Öffentlichkeit und in den Familien. Sie thematisiert die gesellschaftliche Besessenheit mit dem Körper: neben der Sexualität auch das Altern, die Gesundheit, das körperliche Gewicht und die Sauberkeit. Dabei ist es gerade die Erzählposition, die eine radikale materielle Nähe sowie eine nüchterne und boshaft derb gefärbte Distanz zum Gegenstand der Betrachtung hat.
Bei der Lektüre sollte man den klischeehaften dichotomischen Irrwegen entgehen. Dass die Prostituierte eine falsche Moral demaskiert, macht sie selbst noch nicht moralisch tadellos. Doch auch andersrum: Nur weil die Autorin mit ihrer hemmungslos vulgären Sprache, ihrer bis zur äußersten Direktheit getriebenen Darstellungen von Sex und Gewalt und manchmal fragwürdig suspekten Ansichten die LeserInnen manchmal stocken und staunen lässt, heißt das nicht, dass es ihren Beschreibungen an Echtheit mangelt. So lässt sich das Buch als einen sprachlich grandios geschrieben Monolog lesen, als das Durchdrängen der Stimme einer Frau, deren Existenz gerne übersehen und verdrängt wird: und mit ihr viele Fragen der Sexualität. Ähnlich wie im deutschsprachigen Raum Charlotte Roche und Clemens Meyer zeigt Petra Hůlová, dass es in der scheinbar liberalen Welt noch eine Menge Tabus gibt, die angesprochen werden können und sollen.
Petra Hůlová: Dreizimmerwohnung aus Plastik. Aus dem Tschechischen von Doris Kouba. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2013.