The Wife – Жена

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„Gewalt auf der Straße ist, wenn du von Fremden angegriffen wirst. Häusliche Gewalt ist, wenn du von deinen Liebsten angegriffen wirst. Dieser eine Mensch, der dir geschworen hat, an deiner Seite zu sein. In guten, wie in schlechten Zeiten. Und jetzt – in dieser schlechten Zeit – ist diese Person an deiner Seite, wie versprochen. Er hat sein Versprechen gehalten – wie ein echter Mann.“

The Wife – Ein Film von Kana Beisekeyev auf youtube mit englischen Untertiteln.


Eine Comedyshow vor leeren Rängen, als Alleinunterhalter – ein Mann im Zentrum: Galym Kaliakbarov. Auf die Frage, warum er das Thema „häusliche Gewalt an Frauen“ für sein Programm wählte, antwortet er mit seiner eigenen Geschichte. Vater Alkoholiker, schlägt Galyms Mutter, Kaliakbarov entscheidet sich für seine Mutter – weiß aber darum, dass er sie nicht verteidigen könnte. „Wir müssen darüber reden. Wir können nicht so tun, als ob es nicht existierte. Bereits, wenn wir darüber sprechen, gehen wir schon viele Schritte vorwärts.“
Zynisch, könnte man meinen, dass dieses Thema gerade von einem Mann und anschließend in einer Männerrunde weiter diskutiert wird. Doch die Männerrunde gleicht keiner Stammtischszene, die Protagonisten* der ersten Szenen stellen sich Fragen, stellen sich, in ihrer Rolle als Mann* und ihr Handeln in Frage. Reflektieren über die Herkunft, das Ausmaß und die Machtverteilung in Szenen häuslicher Gewalt an Frauen*. Dass hierbei grundsätzlich von Gewalterfahrungen von Frauen* die Rede ist, wird als häufige Kritik an Diskussionen, Statistiken und auch an dieser Dokumentation angeführt. Dieser Kritikpunkt ist auch wichtig und richtig, es ist wahrscheinlich davon auszugehen, dass sich die Situation in Zentralasien doch noch erheblich unterscheidet und tatsächlich weniger Gewaltdelikte im häuslichen Bereich an Jungen* und Männern* dokumentieren lassen.

In dieser Untersuchung zu Gewalterfahrungen von Männern in Deutschland wird dieser wissenschaftlich diskutiert. (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Gewalt gegen Männer in Deutschland. S. 190 ff.)

Doch zurück zum Inhalt. Schnell kommen auch Expertinnen* zu Wort, die die Situation in Zentralasien, insbesondere in Kasachstan darstellen. Die Dokumentation des Regisseurs Kanat Beisekeyev zeigt vielfältige Berichte zum Thema häuslicher Gewalt und versucht die Quellen und Ursachen des strukturellen Problems aus den Erzähler:innenperspektiven zu ergründen.
Eine zentrale Ursache für die sehr systematische häusliche Gewalt wird in der grundlegenden Bevorzugung männlicher Nachkommen gesehen, so der Regisseur in einem Interview mit novastan.org. Söhne stellen gesellschaftlich ein Status- und Machtpotenzial dar, nicht nur in Kasachstan. Der Schutz männlicher Nachkommen und das Hochhalten des Prestige von Maskulinität feuert viele weitere geschlechterdiskriminierende Problematiken an: Teilhabe und Gleichbehandlung am Arbeitsplatz, im kulturellen und gesellschaftlichen Leben, in der Politik und eben auch in der Familie. Mädchen* und Frauen* müssen sich erst beweisen, es werden grundlegend unterschiedliche Ansprüche an die Geschlechter gestellt, um an der Gesellschaft teilzuhaben.

Expert:innen, die im Film zu Wort kommen, sind sich einig. Häusliche Gewalt ist ein Problem. Mögliche Lösungsansätze liegen allerdings in einem langsamen strukturellen Wandel und einem Umdenken der gesamten Gesellschaft. Gerade können nur Prävention und Symptombekämpfung geleistet werden.
Die Männerrunde stellt fest: Kein Mann kommt in eine Ehe und entscheidet von Beginn an: Ich schlage meine Frau. Beide haben zu Beginn nur die besten Gedanken an die Ehe und wollen sich gegenseitig unterstützen. Sind aber letztendlich zu jung (das durchschnittliche Heiratsalter in Kasachstan liegt bei ca. 25 Jahren – im Vergleich zu Deutschland mit 31,2-33,8 Jahren) und werden zu wenig auf Ehe und Familie vorbereitet.
Interessanterweise spricht dagegen allerdings die Sicht aus der Perspektive der Frauen, die sich an Hilfestellen gewandt haben. Die Gewalterfahrungen begannen teilweise schon in der Hochzeitsnacht. „Männliche Gewalttäter sehen Frauen nicht als Menschen an, sondern als Geschöpfe, die leiden müssen. Viele Frauen nehmen das in Kauf. Ihre Mütter, Schwiegermütter nehmen dies auch so hin, weil sie selbst das Gleiche durchgemacht haben. ´Na und? Ich habe das auch ertragen und genauso musst du da auch durch. Mein Mann hat mich auch geschlagen´.“ Diese Inkaufnahme von häuslicher Gewalt ist Dreh- und Angelpunkt des gesellschaftlichen Blicks auf das Thema und macht das persönliche Problem zu einem systematischen.

Hilfsangebote werden nicht angenommen, aus Angst – weil bewusst ist, dass kaum bis keine Konsequenzen folgen (gesetzlich ist mit einer Geldstrafe von umgerechnet 50-100 € zu rechnen, in manchen Fällen bis höchstens 30 Tage Arrest und Kontaktverbot). Häusliche Gewalt wird zu wenig kriminalisiert, dies ist nicht nur in Kasachstan der Fall. In der Realität ist dann tatsächlich von den möglichen Strafen nur ein Bruchteil realistisch zu erwarten und die Angst vor Racheakten überwiegt. Für dieses Frühjahr ist allerdings eine Gesetzesänderung zu erwarten, die das Delikt kriminalisiert und vor allem langjährige Gewalterfahrungen eindämmen soll.

Der Kurzfilm lässt eine Vielfalt an Stimmen zu Wort kommen. Auch Opfer häuslicher Gewalt erzählen von ihren Erfahrungen. Hierbei werden besonders die Härte der Fälle und die Dauer der Misshandlungen deutlich. Von einer einmaligen Ohrfeige zu schweren, systematischen Gewalterfahrungen ist es in der Regel ein recht kurzer Weg. Auch die Angst und Scham vor Angehörigen Misshandlungen zuzugeben und sich an vertraute Personen zu wenden, ist groß.

Auch Human Rights Watch hat im Jahr 2019 drei Monate lang die Berichte und Erfahrungen von Frauen aufgezeichnet, die über häusliche Gewalt, die Reaktionen der Polizei bei der Anzeigeerstattung und die gezogenen strafrechtlichen Konsequenzen sprechen. Diese Berichte decken sich ebenfalls mit der in The Wife gezeichneten Problemspirale. Keine Reaktionen seitens der Polizei, keine Kriminalisierung des Deliktes, zu große Angst vor Konsequenzen bei weiteren Anzeigen sind Haupttreiber des Problems. Dazu kommen die begrenzten Möglichkeiten, die einer Frau, wahrscheinlich noch mit Kindern, als Alleinerziehende bleiben, fehlende finanzielle Absicherung und familiärer Druck.

Eindrucksvoll sind in der Dokumentation vor allem die klaren Worte von verschiedenen gesellschaftlichen Organisationen, die sich der Hilfe und dem Schutz von Opfern widmen. Eine Nulltoleranz-Haltung ist die Forderung, die sich jedoch aufgrund der genannten gesellschaftlichen und kulturellen Einstellungen nur langsam verändern lassen wird.

Im Zuge der gesetzlichen Initiativen gibt es mittlerweile jedoch viele weitere Gruppierungen, Aktivist:innen, NGOs, die sich für die Aufklärung, Hilfestellen für Opfer, politische Initiativen und gesellschaftlichen Wandel einsetzen. Eine Zusammenfassung findet ihr in diesem Blogbeitrag von Darja Losa aus Almaty zum Thema mit Links zu den Organisationen, die sich auch intersektional für Frauen*rechte einsetzen.