Bevor wir uns in die angekündigten Gebiete des Themenmonats nach Osteuropa bewegen, wollen wir uns zuerst in diesem Beitrag mit der globalen Situation, verschiedenen Begriffen und Länderbeispielen befassen.
Rwanda im Titel ist ein Land, das uns in Deutschland oder im sogenannten „globalen Norden“ nicht als naheliegendstes als „best practice“ Beispiel für gelebte Geschlechtergerechtigkeit in den Sinn kommt. Was aktuell im Zentrum der Bestrebungen feministischer Aktivist:innen steht, ist in Deutschland bspw. das Schließen der Gender-Pay-Gap, wonach in aktuellen Statistiken noch bis zu 18% weniger Verdienst für Frauen* im Durchschnitt pro Stunde auffällt. Forderungen zu Teilhabe und Mitbestimmung in politischen, sozialen und kulturellen Entscheidungsprozessen sind ebenso in tagesaktuellen Debatten zur Geschlechtergerechtigkeit enthalten.
Somit haben wir in Deutschland zwar mit den Errungenschaften des letzten Jahrhunderts Dinge erreicht, wie das Wahlrecht für Frauen* (1918) oder die Annäherungen an eine ausgeglichene Besetzung in Vorstandsposten und Aufsichtsräten (30%) im privatwirtschaftlichen Sektor (2016). Problematisch sind dabei aber vor allem die gesetzten Zielvereinbarungen, wonach für Vorstandsposten eine Zielvorgabe mit 0 Frauen* auch gültig ist und demnach eben auch ohne Frauen*anteil schon erfüllt werden kann. Mittlerweile gibt es hierzu eine Gesetzesgrundlage zur Berichtspflicht, sobald diese 0-Vorgabe angesetzt wird. Zur Erinnerung: Diese Zielvorgaben und Beschlüsse stammen aus den Jahren 2015-2020, neueste Beschlüsse zur Berichtspflicht bei nur männlichen* Vorstandsbelegungen sind am 06. Januar 2021 gefasst worden und sollen bis 2025 umgesetzt werden.
Aus der Einleitung dieses Textes lässt sich also schon schließen, dass wir in Deutschland kein wirkliches Vorbild für andere Länder und Regionen zu sein scheinen. Wo funktioniert es also besser und was muss dazu getan werden? Wo können wir lernen?
Häufig wird in Debatten um den Feminismus und feministische Forderungen das Argument aufgebracht: „Was wollt ihr denn, wir haben hier [Platzhalter für den „globalen Norden“] doch schon alles erreicht, ihr dürft wählen, arbeiten etc…. “ Dem lässt sich nun aus einer ganz neuen Perspektive eine Aussage zur Intension der Regisseurin des Stücks „Learning Feminism from Rwanda“, Sophia Stepf, entgegnen:
„Weil uns immer auch interessiert, unsere eurozentristische Vorstellung infrage zu stellen von der Welt. Und diesmal, die eurozentristische Vorstellung, dass der globale Norden den Feminismus erfunden und gepachtet hat und, dass wir da schon relativ weit sind.“
(Quelle: arte.tv 2020 URL: https://www.arte.tv/de/videos/094808-008-A/theater-ruanda-als-feministisches-vorbild/)
Das Stück zeigt ein Vorbild für mögliche Konsequenzen von Quoten, Anteilen, Teilhabebedingungen für Politik und Gesellschaft. Und das Vorbild heißt eben: Rwanda.
Nachdem der Völkermord von 1994 an den Tutsi einen Wendepunkt als „ground zero“ im politischen und gesellschaftlichen System in Rwanda darstellt, entwickelt das Land im Nachzug ein fortschrittliches Konzept zur Gleichstellung von Mann und Frau auf der obersten politischen Ebene, dem Parlament (hier ausnahmsweise ohne *, da die Gleichstellung und Anerkennung von nicht binären Identitäten und LGBTQ* dort faktisch nicht vorhanden ist). Darin ist auch eine Frauenquote als „reserved seats quota“ für die Parlamentssitze von 30 % beinhaltet. Das heißt, diese Plätze sind nur für Frauen reserviert. Der Rest setzt sich aus weiteren Sitzbelegungen zusammen, beispielsweise stellt auch jeweils ein Jugendgremium zwei Sitze und ein Verband für Menschen mit Behinderung einen Sitz. Bislang liegt die tatsächliche Belegung der Frauen sogar bei 60 % und ist somit doppelt so hoch wie die in Deutschland beispielsweise.
Wenn wir über Feminismus sprechen, sollten wir also nach Ansätzen auch außerhalb unseres nächsten Horizonts suchen. Welche Fragen wir stellen sollen, wie wir voneinander lernen können, können wir in „Learning Feminism from Rwanda“ sehen. Das rwandische Ensemble: Nirere Shanel, Wesley Ruzibiza, Yvette Niyomufasha und Natasha Muziramakenga stehen dem deutschen Konterpart Lisa Stepf gegenüber, die sich durch die komplexe Welt von Gender-Gap-Statistiken, Care-Gap-Zahlen und Frauenquoten schlägt und viele Fragen stellt. Die Botschaft, die aus dem Trailer bereits ersichtlich wird ist: Egal was, Hauptsache es passiert etwas!
Trotz des fortschrittlichen Konzepts zum ausgeglichenen Anteil beider Geschlechter im Parlament, gibt es in Rwanda weiterhin patriarchale Strukturen und daraus resultierende Probleme in der Gesellschaft. Auch im Bereich der Rechte für LGBTQ* und allgemeinen Menschenrechte ist das Land nicht gerade in der Vorreiterposition, die es in Fragen Geschlechtergerechtheit einnimmt.
Erkennbar ist aber auf jeden Fall ein Beispiel, dass durch eine Einführung einer Frauenquote in bestimmten politischen Entscheidungspositionen, ein Land nicht dem Untergang geweiht ist. Gegenargumente einer Frauenquote bringen häufig die Sorge an, eine Quote benachteilige besser ausgebildete Männer* und diskriminiere somit im umgekehrten Sinne. Dass allerdings ein paritätisches System mit 50:50 Anteilen dies nicht förderte, sollte dabei eigentlich klar sein. Und, dass eine solche Quote sogar überschritten werden kann, ohne, dass männliche* Kandidierende keine Nachteile erfahren, zeigt eben: Rwanda.
Das Stück lehrt uns nun nicht nur dieses Phänomen, sondern zeigt auch, was es noch zu tun gibt. Fragt, warum wir nicht hartnäckiger, nicht frecher, nicht selbstbestimmter mit unseren Forderungen auftreten.
Mit diesen Fragen werden wir uns in den nächsten Beiträgen noch aus vielen weiteren Perspektiven beschäftigen. Wer sind wir als Frau*, welche Ansprüche, welche Forderungen haben wir, wie können wir strukturelle Ungleichbehandlung – auch intersektional – aufdecken? Und welche Rolle nehmen dabei Männer* ein?
Um den Antworten auf diese Fragen ein Stück näher zu kommen, gibt es im nächsten Blogbeitrag ein Portrait einer spannenden Literatin aus Mazedonien. Pünktlich zum Frauentag, am 08. März 2021, veröffentlicht sie einen Erzählband, der patriarchale Strukturen in Beziehungen thematisiert.
Rumena Bužarovska seziert in elf Erzählungen Varianten des Patriarchats, hyperrealistisch, körperlich und gnadenlos – oft aber auch gnadenlos witzig, von einer spöttischen Lakonie, die die Fassaden durchdringt und allerlei Zwischenmenschliches freilegt. (Quelle: suhrkamp, URL: https://www.suhrkamp.de/buecher/mein_mann-rumena_buzarovska_42976.html)
Möglicherweise können wir darin auch Parallelen der politischen Systeme und den gezeichneten zwischenmenschliche Beziehungen erkennen. Wir sind gespannt!